Mittwoch, 10. Juni 2015

Die Leidenschaft des Schmökerns



Gespräch mit der Autorin Annette Paul


Äpfel aus dem Alten Land
vor den Toren der
Hansestadt Buxtehude
© Annette Paul
„Annette Paul lebt in Buxtehude, einer Kleinstadt im nördlichen Niedersachsen. Inspiriert von der Märchenstadt schreibt sie Kurzgeschichten, Realsatiren, Kindertexte und Märchen.“ So steht es im Profil der Autorin auf Amazon. Eine ganz besondere Protagonistin ihrer Kinder- und Jugendliteratur ist – neben anderen Tieren - die Ratte Prinz, die sich – auch für junggebliebene Erwachsene unterhaltsam - durch mehrere Publikationen und turbulente Familiengeschichten frisst. Die Ratte hat übrigens ihren eigenen Blog, Annette Paul natürlich auch. Tatsächlich ist das literarische Schaffen der Schriftstellerin recht vielseitig, wobei der Schwerpunkt und eine gewisse Leidenschaft ganz offensichtlich bei Lektüre für Kinder und Jugendliche liegt. Auffällig jedenfalls, dass Annette Paul auch noch die Blogs „Leseproben für kleine Schmökerratten“ und „Leseproben für junge Schmökerfreaks“  betreibt, in denen sie Kinder- und Jugendbücher ihrer KollegInnen vorstellt. Und dann gibt es noch die Weihnachts-Textwerkstatt, sozusagen ein literarischer Saisonbetrieb. Grund genug, hier auf Kulturstrom einmal die Kollegin zu interviewen, die zu jenen seltenen Exemplaren in der Literaturwelt gehört, die sich nicht dem vermeintlichen Diktat der Marktkonkurrenz unterwirft.

Wolfgang Schwerdt: Hallo Annette, ich habe einmal in Deinen Büchern und Geschichten gestöbert und dabei einiges Interessante entdeckt. Abgesehen von der wundervollen Ratte Prinz und ihrer Rapunzel gibt’s da ja auch noch so einfühlsame Geschichten wie im Albtraum der gestohlenen Gefühle oder warm und trocken. Die Protagonisten sind da meist oder gar immer Kinder. Irgendwie habe ich bei der Lektüre aber das Gefühl, dass es Dir dabei um mehr als Kinderliteratur geht.

Annette Paul: Manchmal fabuliere ich einfach nur drauflos. Wenn ich kritische Themen anspreche, versuche ich, sie möglichst leicht und locker herüberzubringen.

Zur Kinderliteratur kam ich, da ich als gestresste Mutter jahrelange nur Kinderbücher vorlas, körbeweise aus der Bücherei herangeschleppt. Als das jüngste Kind in den Kindergarten kam, begann ich, selbst zu schreiben. Häufig Themen, die bei uns gerade aktuell waren, wie Freundschaft, Streit und Langeweile.


Illustration aus: Ratte Prinz im Weihnachtsbaum
"Ich opfere mich als Vorkoster,
ich will doch nicht, dass Rapunzel krank wird."
© Krisi Sz.-Pöhls*
Wolfgang Schwerdt: Selbst ein Buch wie beispielsweise Rattenprinzessin Rapunzel besteht im Grunde aus Einzelgeschichten. Die sind ganz offensichtlich Deine Stärke. Reizt es Dich trotzdem, auch einmal einen Roman zu schreiben?

Annette Paul: Da ruht so einiges in den Tiefen meiner Festplatten. Vieles auch berechtigt. Anderes wartet darauf, dass ich Zeit habe, mich darum zu kümmern. Allerdings werde ich wohl nie siebenhundertseitige Wälzer schreiben. Die Zeiten, in denen ich Bücher nach Gewicht kaufte, sind schon sehr, sehr lange vorbei. Demzufolge schreibe ich so etwas auch nicht.

Ich finde es schade, dass Kurzgeschichten aus der Mode gekommen sind. Früher hatte jede Zeitung und Illustrierte eine Kurzgeschichte oder einen Fortsetzungsroman. Gerade in unsere schnelllebige Zeit passen Texte, die sich in Bus, Bahn oder einer Arbeitspause auf dem Smartphone lesen lassen.

Tatsächlich schreibe ich auch längere Texte. So habe ich schon ein paar Unterhaltungsromane herausgegeben. Gerade ist der Heftroman „Der Regentanz bringt die Liebe“ erschienen. Dafür ist allerdings mein Alter Ego „Eva Joachimsen“ zuständig. Annette Paul bleibt der Kinderliteratur und den Kurzgeschichten treu.

Wolfgang Schwerdt: Deine Geschichten spielen zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Welten. Wie stößt Du auf die Ideen, was treibt Dich dabei jeweils an, wie und durch was entstehen die Plots in Deinem Kopf?

Annette Paul: Manche Geschichten entstehen einfach, ich muss nur schnell genug etwas zum Schreiben zur Hand haben, damit ich sie nicht wieder vergesse. Viele meiner ganz kurzen Geschichten sind bei Workshops von Heidrun Schaller entstanden. Sie gab Aufgaben, Anregungen wie Zitate, Fotos, Collagen und dazu sollten wir dann zehn Minuten schreiben. Die meisten Teilnehmer schrieben Gedichte, ich immer Kurzgeschichten ...  Manchmal mache ich es daheim genauso. Ein Foto aus der Zeitung, eine Überschrift, eine Seite in einem Buch aufschlagen und eine Zeile lesen, anschließend den Küchenwecker stellen und loslegen.

Andere Geschichten entwickeln sich durch Ausschreibungen zu Anthologien, wie „Die Tränendiebe“, die ich für das Buch „Tränen“ des Geest Verlags schrieb.

Wolfgang Schwerdt: Mit Deinen Leseproben für kleine Schmökerratten und Leseproben für junge Schmökerfreaks, bietest Du ja nicht nur Deinen Lesern einen tollen Service, sondern – so könnten viele vermuten - Du unterstützt zudem Deine schriftstellerische Konkurrenz. Wenn ja, warum eigentlich, oder siehst Du das ganz anders?


Illustration aus: Hopser will helfen
"Ob Opa jetzt schimpft?"
© Krisi Sz.-Pöhls*
Annette Paul: Ist das wirklich so? Danke für den Hinweis. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich höre sofort mit der Vorstellerei auf, sonst komme ich ja nie im Ranking unter die ersten Hundert.

Im Ernst: Die Konkurrenz der täglichen Neuveröffentlichungen ist erheblich größer, als die der vorgestellten Bücher. Wir Indies, dazu zähle ich auch Autoren aus Kleinstverlagen, können uns keine teure Werbung leisten. Selbst unsere Zeit ist begrenzt, Beruf und Familie fordern ihr Recht. Wir können uns den großen Konzernen nur gemeinsam entgegenstemmen, mit Solidarität und Kreativität den fehlenden Werbeetat ausgleichen.

Wenn ein paar Autoren etwas verkaufen, weil ich ihr Buch vorstelle, freue ich mich. Auch aus Eigeninteresse, schließlich werden dadurch die Schmökerratten und die Schmökerfreaks bekannter. Natürlich freue ich mich noch mehr, wenn „meine“ Autoren Werbung für die Schmökerratten oder die Schmökerfreaks machen. In den letzten Jahren habe ich durch die drei Blogs viele nette Autoren kennengelernt und manche unterstützen mich tatkräftig, stellen die Blogs und/oder meine Bücher auf ihren Seiten vor, twittern oder posten bei Facebook für mich.

Wolfgang Schwerdt: Trotzdem habe ich gelegentlich das Gefühl, dass Deine Bücher zugunsten der Schmökerblogs völlig zu Unrecht ein wenig ins Hintertreffen geraten. Zudem fällt auf, dass auch Du selbst im Netz auch nicht gerade als „Rampensau“ auffällst. Es ist nicht leicht, mehr über Dich zu erfahren als das, was ich im Vorspann geschrieben habe. Würdest Du meinen Lesern ein wenig mehr über Dich preisgeben?

Annette Paul: Als Mensch aus einem, ähm, früheren Jahrtausend, der als Kind einfach bei den Nachbarn klingelte und seine Spielkameraden fragte, ob sie herauskommen, der als Schüler seine Verabredungen in der Schule traf und nicht per WhatsApp am Mittagstisch, für den Überwachung bedeutete, dass die Lehrer die Toiletten nach Rauchern und Schummelzetteln absuchten (wir hatten zum Glück nur wenige Lehrerinnen an der Schule), der auf Partys seine Gesprächspartner anschaute und nicht per Smartphone mit ihnen kommunizierte, stehe ich dem Internet etwas misstrauisch entgegen und bin deshalb etwas zurückhaltender.

Wer weiß, wer da alles mitliest? Vielleicht lande ich eines Tages im Gefängnis, statt im Altersheim, nur weil ich den Plot eines Thrillers auf Facebook meinen Kollegen geschildert habe. Mit Pech setzt auch noch ein Mitleser die Idee in die Tat um. - Obwohl, im Gefängnis ist es vielleicht interessanter als im Altersheim. Das muss ich mir einmal in Ruhe überlegen.

Um noch einmal auf die Frage nach der Entstehung der Plots zurückzukommen: In den Antworten zu dieser Fragen stecken mindestens vier Kürzestgeschichten.

Wolfgang Schwerdt: Das ist mit auch gerade aufgefallen und ich kann nur hoffen, dass wir die Ergebnisse bald auf Probeschmökern bei Annette Paul oder das eine oder andere vielleicht als Gastbeitrag sogar hier auf Kulturstrom lesen können. Apropos Probeschmökern, was erwartet den Leser eigentlich auf dem Blog Deines Alter Ego?

Annette Paul: Auf dem Blog Eva Joachimsen poste ich nicht nur Leseproben, sondern Fotos, stelle Ausflugsziele im Hamburger Raum vor und schreibe übers Tanzen. Vielleicht kommen irgendwann weitere Themen dazu.

Wolfgang Schwerdt: Vielen Dank für das Gespräch, Annette. Und nicht vergessen, die Geschichten wie „Von Facebook in den Knast“ etc. zu schreiben.


*Fantasy Art von Krisi Sz.-Pöhls http://www.salidaswelt.com/html/kinderbucher.html

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