Amazon,
Warrior Cats und andere kulturelle Katastrophen
Selbstverständlich
geht es allen Beteiligten des Literaturbetriebes um nichts anderes als um gute
Literatur. Freie Zugänglichkeit, Vielfalt und Qualität der Bücher, das ist es,
was Autoren, stationären Buchhandel und Verlage Tag für Tag umtreibt. Umso
schlimmer, wenn Einzelne (und grundsätzlich immer die anderen!) dieses heilige
Prinzip der Buchbranche aus purer Gewinnsucht zunichte machen. Amazon mit
seiner marktbeherrschenden Stellung und dem freien und direkten Zugang für
Autoren zum Publikationsgeschäft ist da so ein Paradebeispiel. Wie gut, dass
die etablierten Verlage und der stationäre Buchhandel mit Marketingmillionen
dafür sorgen, dass freie Autoren oder Bücher kleiner, unabhängiger Verlage
keinen Platz in den Regalen des Buchhandels finden. Die können es sich
schlichtweg nicht leisten, meterweise Regale oder Sondertische für die
Präsentation ihrer Bücher bei den der literarischen Qualität verpflichteten Buchdealern
zu kaufen.
Für die Erfolgsautoren
etablierter Verlage gibt es daran natürlich nichts auszusetzen, schließlich
sichert das die Qualität ihres emsigen Mainstreamschaffens. Wer sich dermaßen
der Qualität verpflichtet fühlt, der lässt unter rauschendem Beifall des
stationären Buchhandels auch schon mal einen offenen Boykottbrief gegen den
Onlineriesen los.
Das musste mal gesagt werden
Offene
Briefe sind ein beliebtes Mittel von Autoren, sich und ihre Ängste um gute
Literatur und deren Vielfalt mitzuteilen. Na klar, sind ja schließlich Schriftsteller.
Und so verwundert es kaum, dass auch die Aktion von Belz & Gelberg, 50.000
Exemplare des ersten Bandes der ersten Staffel
der Warrior Cat Serie als kostenlose Klassensätze an Schulen abzugeben,
auf heftigen offenbrieflichen Widerspruch zahlreicher Kinderbuchautoren stieß. Denn
die Warrior Cats gelten als Kinder- und Jugendbücher, was schließlich auch noch
den pädagogischen Sachverstand von Literaturkritikern herausforderte. Die Welt
der Katzenclans sei undemokratisch (wer hätte das gedacht!), es gebe dort
Gewalt (ach du lieber Himmel, wie weltfremd!). Die Bücher seien einfach geschrieben
und in Fließbandarbeit entstanden, literarisch folgerichtig minderwertig und
Kindern- und Jugendlichen als Schullektüre somit nicht zuzumuten.
In ihrem
offenen Brief erklären die Kinderbuchautoren dann auch, dass sie seit Jahren selbst
an Schulen gehen (ich vermute selbstverständlich ehrenamtlich und hinsichtlich
ihrer eigenen Werke völlig uneigennützig), um den Schülern zu vermitteln, wie
ein Schriftsteller arbeitet, wie Bücher entstehen und dass Kultur nicht
kostenlos zu haben sein darf. Es gehe darum, den Schülern klarzumachen, welche
Arbeit in so einem Buch steckt, um der weitverbreiteten Kostenlosmentalität
entgegenzuwirken.
Aufklärungsarbeit am Fließband
An einer
Aufklärung über die wahren Strukturen, Interessen und Marketinginstrumente im
Literaturbetrieb ist aber tatsächlich kaum jemand interessiert, der ökonomisch
in demselben verankert ist. Es geht – selbstverständlich auch bei Autoren – um Marktanteile
(ihrer eigenen Bücher!), Absatzzahlen, Tantiemen, Honorare, Gewinne. Und „Fließbandarbeit“
im Sinne des Heraushauens eines „Bestsellers“ nach dem anderen (in gewissem
Rahmen auch im technischen Sinne) gehört bei Mainstream-Erfolgsautoren zum
täglichen Handwerk. Da spielt es keine Rolle, ob lediglich ein Autor oder wie
bei den Warrior Cats arbeitsteilig Mehrere an einem Buch oder einer Serie
beteiligt sind. Wer allerdings das arbeitsteilige Schreiben eines Buches allen
Ernstes als Fließbandarbeit bezeichnet, hat noch nie in einem Betrieb
gestanden, wo diese tatsächlich praktiziert wird. Liest man jeweils die Briefe
und Stellungnahmen der Autoren, der betroffenen Verlage und anderer
Parteigänger im Buchdealergeschäft, so findet man immer wieder das übliche
Propagandagewäsch. Kulturelle Qualitätssicherung, durch „Gatekeeperfunktion“
der Verlage und des Buchhandels, Querfinanzierung und Aufbau unbekannter
Autoren durch die Verlage oder Eintreten für Demokratie und Menschenrechte von Verlagsautoren
durch Amazonboykott. Ich finde, solche Märchenstunden gehören weniger in die
Schulen als die 1600 Klassensätze des ersten Bandes der Warrior Cats. Die thematisieren
im Rahmen fesselnder Fantasyabenteuer unter anderem Zivilcourage und Opportunismus,
„Staatsraison“ und zivilen Ungehorsam, Fremd- und Selbstbestimmung, Machtgier
und soziale Kompetenzen, Massenmanipulation, Demagogie und Widerstand, Glauben und
Zweifeln, Leben und Tod, Flucht und Vertreibung . Ich hätte mir in meiner
Schulzeit jedenfalls gewünscht, nicht nur mit der Reclam-Zwangsliteratur
konfrontiert zu werden.
Märchenmarketing - Marketingmärchen
Besser wäre
natürlich noch, wenn meine Rotbartsaga-Serie zur freiwilligen
Unterrichtslektüre werden würde. Vielleicht
sollte ich in einem offenen Brief zum Boykott des Literaturbetriebes aufrufen,
bei dem die Verlage durch Kauf von Regalmetern und breites Streuen von kostenlosen
Rezensionsexemplaren in der Bloggerszene die literarische Vielfalt ebenso
einschränken, wie die Buchhandlungen durch daraus resultierende abenteuerliche
Provisionsvorstellungen bei Publikationen freier Autoren und die Kostenlosmentalität
bei Selfpublisherlesungen. Vielleicht wäre ja auch ein Aufruf gegen die Macht
der Schulbuchverlage ganz witzig.
Aber einmal
ganz ehrlich, Wozu soll so etwas eigentlich gut sein. Die Beteiligten am
Literaturbetrieb wissen um die Realitäten auf dem Buchmarkt, den Leser
interessiert es schlichtweg nicht. Er möchte unterhalten werden, mit Literatur,
die seine Bedürfnisse befriedigt. Zu diesen Bedürfnissen gehört in der Breite
sicherlich nicht das, was Germanisten und Literaturwissenschaftler als besonders
wertvoll erachten. Qualität hat im Buchmarkt nichts mit besonders geschliffenem
Schreibstil, hochintellektueller Gesellschaftskritik oder pädagogisch-aufklärerischer
Brillanz zu tun. Der Leser möchte – und das ist sein gutes Recht, wenn er dafür
bezahlt – unterhalten werden, mitreden können, dazugehören (z.B. zu einer
Fangemeinde). Dabei darf es auch ein wenig (oder gehörig) menscheln, wenn es um
den Aufbau eines Bestsellerautors geht. Wer würde sich ohne diesen Faktor beispielsweise
für Bob den Streuner interessieren? Der Buchmarkt ist ein Markt und er war es schon
immer. Literatur ist das Produkt, mit dem auf dem Markt gedealt wird. Und über
den Erfolg entscheiden neben der zielgruppengerechten Qualität des Produktes das
Marketingbudget, die Marketinginstrumente und eine Reihe anderer Faktoren.
Offene Briefe oder Märchenstunden gehören sicherlich auch dazu.
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