Montag, 24. August 2015

Wenn sich der Buchmarkt zu Wort meldet



Amazon, Warrior Cats und andere kulturelle Katastrophen

Selbstverständlich geht es allen Beteiligten des Literaturbetriebes um nichts anderes als um gute Literatur. Freie Zugänglichkeit, Vielfalt und Qualität der Bücher, das ist es, was Autoren, stationären Buchhandel und Verlage Tag für Tag umtreibt. Umso schlimmer, wenn Einzelne (und grundsätzlich immer die anderen!) dieses heilige Prinzip der Buchbranche aus purer Gewinnsucht zunichte machen. Amazon mit seiner marktbeherrschenden Stellung und dem freien und direkten Zugang für Autoren zum Publikationsgeschäft ist da so ein Paradebeispiel. Wie gut, dass die etablierten Verlage und der stationäre Buchhandel mit Marketingmillionen dafür sorgen, dass freie Autoren oder Bücher kleiner, unabhängiger Verlage keinen Platz in den Regalen des Buchhandels finden. Die können es sich schlichtweg nicht leisten, meterweise Regale oder Sondertische für die Präsentation ihrer Bücher bei den der literarischen Qualität verpflichteten Buchdealern zu kaufen.


Für die Erfolgsautoren etablierter Verlage gibt es daran natürlich nichts auszusetzen, schließlich sichert das die Qualität ihres emsigen Mainstreamschaffens. Wer sich dermaßen der Qualität verpflichtet fühlt, der lässt unter rauschendem Beifall des stationären Buchhandels auch schon mal einen offenen Boykottbrief gegen den Onlineriesen los.

Das musste mal gesagt werden

Offene Briefe sind ein beliebtes Mittel von Autoren, sich und ihre Ängste um gute Literatur und deren Vielfalt mitzuteilen. Na klar, sind ja schließlich Schriftsteller. Und so verwundert es kaum, dass auch die Aktion von Belz & Gelberg, 50.000 Exemplare des ersten Bandes der ersten Staffel  der Warrior Cat Serie als kostenlose Klassensätze an Schulen abzugeben, auf heftigen offenbrieflichen Widerspruch zahlreicher Kinderbuchautoren stieß. Denn die Warrior Cats gelten als Kinder- und Jugendbücher, was schließlich auch noch den pädagogischen Sachverstand von Literaturkritikern herausforderte. Die Welt der Katzenclans sei undemokratisch (wer hätte das gedacht!), es gebe dort Gewalt (ach du lieber Himmel, wie weltfremd!). Die Bücher seien einfach geschrieben und in Fließbandarbeit entstanden, literarisch folgerichtig minderwertig und Kindern- und Jugendlichen als Schullektüre somit nicht zuzumuten.
In ihrem offenen Brief erklären die Kinderbuchautoren dann auch, dass sie seit Jahren selbst an Schulen gehen (ich vermute selbstverständlich ehrenamtlich und hinsichtlich ihrer eigenen Werke völlig uneigennützig), um den Schülern zu vermitteln, wie ein Schriftsteller arbeitet, wie Bücher entstehen und dass Kultur nicht kostenlos zu haben sein darf. Es gehe darum, den Schülern klarzumachen, welche Arbeit in so einem Buch steckt, um der weitverbreiteten Kostenlosmentalität entgegenzuwirken.

Aufklärungsarbeit am Fließband

An einer Aufklärung über die wahren Strukturen, Interessen und Marketinginstrumente im Literaturbetrieb ist aber tatsächlich kaum jemand interessiert, der ökonomisch in demselben verankert ist. Es geht – selbstverständlich auch bei Autoren – um Marktanteile (ihrer eigenen Bücher!), Absatzzahlen, Tantiemen, Honorare, Gewinne. Und „Fließbandarbeit“ im Sinne des Heraushauens eines „Bestsellers“ nach dem anderen (in gewissem Rahmen auch im technischen Sinne) gehört bei Mainstream-Erfolgsautoren zum täglichen Handwerk. Da spielt es keine Rolle, ob lediglich ein Autor oder wie bei den Warrior Cats arbeitsteilig Mehrere an einem Buch oder einer Serie beteiligt sind. Wer allerdings das arbeitsteilige Schreiben eines Buches allen Ernstes als Fließbandarbeit bezeichnet, hat noch nie in einem Betrieb gestanden, wo diese tatsächlich praktiziert wird. Liest man jeweils die Briefe und Stellungnahmen der Autoren, der betroffenen Verlage und anderer Parteigänger im Buchdealergeschäft, so findet man immer wieder das übliche Propagandagewäsch. Kulturelle Qualitätssicherung, durch „Gatekeeperfunktion“ der Verlage und des Buchhandels, Querfinanzierung und Aufbau unbekannter Autoren durch die Verlage oder Eintreten für Demokratie und Menschenrechte von Verlagsautoren durch Amazonboykott. Ich finde, solche Märchenstunden gehören weniger in die Schulen als die 1600 Klassensätze des ersten Bandes der Warrior Cats. Die thematisieren im Rahmen fesselnder Fantasyabenteuer unter anderem Zivilcourage und Opportunismus, „Staatsraison“ und zivilen Ungehorsam, Fremd- und Selbstbestimmung, Machtgier und soziale Kompetenzen, Massenmanipulation, Demagogie und Widerstand, Glauben und Zweifeln, Leben und Tod, Flucht und Vertreibung . Ich hätte mir in meiner Schulzeit jedenfalls gewünscht, nicht nur mit der Reclam-Zwangsliteratur konfrontiert zu werden.

Märchenmarketing - Marketingmärchen

Besser wäre natürlich noch, wenn meine Rotbartsaga-Serie zur freiwilligen Unterrichtslektüre werden würde. Vielleicht sollte ich in einem offenen Brief zum Boykott des Literaturbetriebes aufrufen, bei dem die Verlage durch Kauf von Regalmetern und breites Streuen von kostenlosen Rezensionsexemplaren in der Bloggerszene die literarische Vielfalt ebenso einschränken, wie die Buchhandlungen durch daraus resultierende abenteuerliche Provisionsvorstellungen bei Publikationen freier Autoren und die Kostenlosmentalität bei Selfpublisherlesungen. Vielleicht wäre ja auch ein Aufruf gegen die Macht der Schulbuchverlage ganz witzig.
Aber einmal ganz ehrlich, Wozu soll so etwas eigentlich gut sein. Die Beteiligten am Literaturbetrieb wissen um die Realitäten auf dem Buchmarkt, den Leser interessiert es schlichtweg nicht. Er möchte unterhalten werden, mit Literatur, die seine Bedürfnisse befriedigt. Zu diesen Bedürfnissen gehört in der Breite sicherlich nicht das, was Germanisten und Literaturwissenschaftler als besonders wertvoll erachten. Qualität hat im Buchmarkt nichts mit besonders geschliffenem Schreibstil, hochintellektueller Gesellschaftskritik oder pädagogisch-aufklärerischer Brillanz zu tun. Der Leser möchte – und das ist sein gutes Recht, wenn er dafür bezahlt – unterhalten werden, mitreden können, dazugehören (z.B. zu einer Fangemeinde). Dabei darf es auch ein wenig (oder gehörig) menscheln, wenn es um den Aufbau eines Bestsellerautors geht. Wer würde sich ohne diesen Faktor beispielsweise für Bob den Streuner interessieren? Der Buchmarkt ist ein Markt und er war es schon immer. Literatur ist das Produkt, mit dem auf dem Markt gedealt wird. Und über den Erfolg entscheiden neben der zielgruppengerechten Qualität des Produktes das Marketingbudget, die Marketinginstrumente und eine Reihe anderer Faktoren. Offene Briefe oder Märchenstunden gehören sicherlich auch dazu.

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